Reisebericht Bolivien Dezember 2021
von Bernhard Spechtenhauser (reguläre Schrift) und Peter Seiringer (kursiv)
29.11.2021
Seit Beginn der Pandemie war es nicht mehr möglich, Bolivien zu besuchen. Die Kommunikation erfolgte nahezu täglich über entsprechende Medien. Umso größer ist die Freude, dass es heuer gelungen ist, diese Reise zu unternehmen, begleitet von Herrn Dr. Peter Seiringer, der stellvertretende Obmann des Vereins.
Wie immer ist die Zeit zuvor arbeitsmäßig intensiv, zudem noch die Aufregung und Sorge, ob wohl alles klappen würde.
Geplant ist der Abflug mit Air Europa von München über Madrid nach Santa Cruz am 29.11.2021.
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Endlich ist es soweit: Bernhard und ich sitzen am Gate am Flughafen München und warten auf den Abflug nach Madrid und anschließend weiter nach Santa Cruz, Bolivien. Nicht wenige Telefonate, Nachrichten und langes Überlegen sind diesem Warten vorausgegangen. Sollen wir in der aktuellen Situation -Delta längst dominierend, Omikron vermutlich angekommen, Pi (oder wie geht’s weiter im griechischen Alphabet?) vielleicht schon im Anmarsch- wirklich nach Bolivien fliegen? Weder wollen wir dafür verantwortlich sein, dass sich Varianten weiter global verbreiten, noch jemanden in unserem Umfeld oder uns selbst anstecken. Mit der dritten Impfung, die wir beide vor wenigen Wochen bekommen haben, und dem festen Vorsatz, unsere FFP2-Masken nur wenn es unbedingt nötig ist, abzunehmen, wagen wir es aber und machen uns auf den Weg. Auch wenn ein bisschen Unsicherheit bleibt, dazu fühlen wir uns den Menschen in Bolivien und auch Ihnen als Spender*innen gegenüber verpflichtet.
Die ersten Hürden inkl. Reiseanmeldung in Spanien, Reiseanmeldung in Bolivien, PCR-Test haben wir gemeistert. Jetzt freuen wir uns auf den Abflug.
30.11.2021
Nach dem kurzen Zwischenstopp in Madrid und einer Nacht im Flieger über den Atlantik kommen wir pünktlich um ca. 6 Uhr Früh in Santa Cruz an. Jetzt wird’s gleich spannend: Werden unsere Impfzertifikate akzeptiert? Haben wir uns richtig informiert und erfüllen alle Voraussetzungen, uns jetzt nicht 2 Wochen in Quarantäne begeben zu müssen? Werden alle Koffer geöffnet und muss Bernhard den Grenzbeamten wie fast jedes Jahr erklären, warum er zahlreiche T-Shirts, Hosen und Geschenkpakete dabei hat?
Alles verläuft reibungslos: Mit Impfpass und drei kaum leserlichen Formularen, die wir im Flieger bzw. am Flughafen ausgefüllt haben (wovon aber am Schluss nur eines einbehalten wird), können wir einreisen. Beim Gepäck-Check wird auch nur ein Koffer von Bernhard geöffnet. Er ist aber routiniert und nach einer kurzen Erklärung dürfen wir nach draußen.
Mittlerweile ist es ca. 8 Uhr. Wie erwartet warten vor dem Flughafen bereits Sr. Rosa Maria und einige Jugendliche, dieses Mal jedoch alle mit Maske und im Freien. Das obligatorische „bienvenidos“-Plakat darf natürlich auch nicht fehlen. Endlich ist „Dr. Bernardo“ wieder in Bolivien. Die meisten erinnern sich auch noch an mich, obwohl es schon vier Jahre her ist, dass ich das letzte Mal hier war. Vielen sieht man an, dass sie uns gerne umarmen würden, aber nicht alle trauen sich. Manche strecken uns ihre Faust zum Gruß entgegen, manche winken etwas verlegen, bis es dann doch manche nicht mehr aushalten und Dr. Bernardo um den Hals fallen. Nach ein paar Worten der Wiedersehensfreude geht’s in Richtung Stadt, ins Kolpinghaus zum Frühstück. Ein paar Jugendliche kommen mit und genießen das laut Dr. Bernardo seit Jahrzehnten idente Frühstück aus Toast, Extrawurst-ähnlichem Aufschnitt und Käse.
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Das Klima ist in Santa Cruz nicht übermäßig heiß, jedoch kostet es zu Beginn schon etwas an Überwindung, da neben der doch bei 30 Grad liegenden Temperatur eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht. Es bleibt nur kurze Zeit zum Ausruhen, weil bereits zu Mittag ein Mittagessen bei den Schwestern vorbereitet ist. Es gibt meine Lieblingsspeise, das Pique macho.
Danach eine kurze Pause und es geht gleich voll ins Programm, da ansonsten in der kurzen Zeit nicht alles durchgearbeitet werden könnte.
Der erste offizielle Punkt ist dann der Besuch der Behindertenschule am Nachmittag Ortszeit um 15.00 Uhr mit der offiziellen Einweihung des Gebäudes „Escuela Especial Santa Catalina“. Alle sind sehr diszipliniert, tragen einen Mund-Nasen-Schutz, auch auf den Straßen sind die Leute sehr konsequent und tragen tagsüber im Freien den Mund-Nasen-Schutz. Einige der behinderten Jugendlichen präsentieren ihre Kochkünste und sind ganz Stolz auf die Spezialitäten, die sie präsentieren. Möglich ist dies durch die große Erweiterung der Bäckerei, die jetzt zum Teil als Gastronomieschule genützt wird, wo u.a. die Gruppe der behinderten Jugendlichen ausgebildet werden. Wie üblich gibt es wieder eine Menge an Ansprachen, auch durch lokale Behörden und Geschenkübergaben, sowie Anerkennungsplaketten.
Auch wenn die Anzahl der Teilnehmer Corona-bedingt reduziert ist, hat man doch immer wieder die Sorge im Hinterkopf, sich zu infizieren. Das Gebäude der Behindertenschule beherbergt jetzt etwa 60 Kinder und Jugendliche mit Behinderung, zudem sind in den Räumlichkeiten im Parterre Psychologen und Fachleute untergebracht, die die Kinder vor Aufnahme beurteilen und untersuchen, sowie auch regelmäßig betreuen. Die dargebotenen Speisen werden von allen mit großem Hunger verspeist. Wir, Peter und ich, halten uns zurück.
01.12.2021
Am Vormittag ist der Besuch des im Bau befindlichen Mehrzweckhauses geplant, wo Schulunterricht, Treffen mit Familien und Kindern, andere Veranstaltungen geplant sind. Zuvor besuchen wir den Raum, wo diese Treffen bis jetzt stattfinden: Es handelt sich um eine Art Baracke, Lehmboden, darin einige Bänke, Tische und Stühle, ca. 30 Kinder sind dort und empfangen uns mit großer Freude. Auch hier gibt es wieder Geschenke, Musik, Tee und Kuchen. Von dort ist es ca. 5 Minuten entfernt, wo der Bau gerade im Gang ist. Sie sind gerade dabei, das Dach zu montieren, die Grundfläche beträgt 250 m2, die Höhe in etwa 10 Meter. Der gesamte Bau ist von einem Einzelnen finanziert, wobei es zu unvorhersehbaren Problemen zu Beginn gekommen ist: Als man zu Beginn nach Entsteinen des Grundstücks das Material für den Bau (Ziegel, Zement usw.) dort deponiert hatte, ist es immer wieder vorgekommen, dass solches entwendet wurde. Aus diesem Grund musste dann in diesem Bereich das große Grundstück eingezäunt werden, zusätzlich hat man dort eine Hütte errichtet, darin bewacht eine Person die ganze Nacht hindurch den Bau. Das hat natürlich zu einer Erhöhung der Kosten geführt. Es werden dann noch vor Ort einige bauliche Dinge besprochen. Der Bau wird wunderschön. Ich bin schon sehr gespannt, wenn er fertig ist. Dies sollte Ende des Monats der Fall sein.
Die Sonne scheint unbarmherzig. Man muss aufpassen, dass man keinen Sonnenbrand bekommt. Der Bau wird im Viertel „autonomía“ errichtet, der in der Peripherie der Stadt (9. anillo) liegt. Im Anschluss daran fahren wir gemeinsam wieder ins Zentrum zu den Schwestern, wo wir wiederum sehr gut Mittagessen.
Nach einer kurzen Pause sind Familienbesuche geplant, Großteils Familien, von denen Kinder und Jugendliche in einer Gruppe monatlich mit einem kleinen Stipendium unterstützt werden. Eine davon ist Selina, der wir vor einem halben Jahr eine Augenoperation finanziert haben, da sie sonst blind geworden wäre. Sie kommt inzwischen gut zurecht, ist eine fleißige Schülerin und zeigt uns ihr Zuhause, wo sie mit ihren Geschwistern lebt. Der Älteste, Junior, wird demnächst in der Gastronomieschule aufgenommen, wo er eine Arbeit bekommt und ein regelmäßiges kleines Gehalt. Ein Wohnraum, feucht und schimmelig, etwas abgeteilt, sie wohnen hier zu sechst, zum Teil zwei in einem Bett, alles sauber aufgeräumt, oberhalb eines Kastens das Bild der verstorbenen Mutter, über den nicht anwesenden Vater wird nicht gesprochen.
Dann geht es weiter zur Familie von Ricardito. Ricardito ist querschnittgelähmt nach einer angeborenen Rückenmarkserkrankung. Er wurde vor vielen Jahren von uns nahezu sterbend gefunden und dann ins Krankenhaus gebracht. Er ist inzwischen gewachsen, ist 14 Jahre alt. Derzeit Pandemie-bedingt kein Schulbesuch, ebenfalls die anwesenden Schwestern derzeit ohne Arbeit und ohne Schule. Der Vater ist auch nicht im Haus, weil er offensichtlich arbeitet, als Chauffeur. Die Mutter ist unterwegs, die älteste Schwester versorgt die kleineren Kinder. Die Situation dort ist bedrückend, die Aussicht auf ein besseres menschenwürdiges Leben trist, die Miete ist kaum bezahlbar und einige Monate ausstehend. Essen gibt es wenig, und man sieht im Gesichtsausdruck von Ricardito und den anderen Geschwistern die Trostlosigkeit. Ich habe einige Chupetes (Lutscher) mitgebracht und dort verteilt. Das versüßt zumindest kurzfristig etwas den Alltag.
Der nächste Besuch ist bei Lucas, der sehr talentiert ist als Musiker und bereits auf Youtube einige Videos aufgenommen hat, wo er singt. Besser bekannt als „Lucas Flow“, wie er immer wieder betont. Er ist 12 Jahre alt, sehr klein. Sein kleiner Bruder Matteo ist auch daheim, dieser hat das Talent zum Zeichnen. Er zeigt unglaublich schöne Bilder her. Die beiden Kinder wohnen bei der Großmutter, die Eltern sind getrennt. Der Vater hat derzeit Tuberkulose, wird behandelt, und schaut sehr schlecht aus. Tuberkulose ist vor allem in der letzten Zeit wieder sehr häufig geworden, auch viele Jugendliche und Kinder betrifft es. In einem kleinen Raum schlafen die Kinder mit Vater und der Oma. Daneben eine provisorische Küche, d.h. ein Gasherd neben Gerümpel und Wäscheleinen, alles auf Lehmboden. Sie wohnen dort in Miete und schaffen es nur sehr schwer, diese monatlich zu bezahlen. Wenn es einmal nicht geht, dann wird ihnen das Licht abgedreht, es gibt keinen Strom und kein Wasser. Wir befinden uns weit außerhalb in der Peripherie von Santa Cruz, eine Gegend, die in den letzten Jahren sehr gewachsen ist, jedoch herrscht große Armut, verstärkt noch dadurch, dass im Laufe der Pandemie viele ihre Arbeit verloren haben.
Einige weitere Besuche folgen dann noch, die einerseits mich sehr betroffen machen, da vor allem daneben hunderte und tausende arme Familien wohnen, andererseits es doch erfreulich ist, dass wir mit Hilfe von Sr. Rosa-Maria einige unterstützen können.
Derzeit sind in der Gruppe „beca Dr. Bernardo“ etwa 80 Personen.
Dann geht es nach Hause ins „Hotel“.
02.12.2021
Am Donnerstag, den 02.12.2021, werden wir bereits um 09.00 Uhr abgeholt, geplant ist ein Dankesfest im „Colegio Santa Rosa de Lima“, dem Schulkomplex, wo wir in den letzten Jahren sehr viele Gebäude finanziert und gebaut haben, zuletzt eben die Behindertenschule, dann die Erweiterung der Bäckerei und Eröffnung der Gastronomieschule. Auch hier wieder reichliche Ansprachen und Vorträge mit Geschenksübergaben, Musik und Tanz, alles mit einer FFP2-Maske! Die einzelnen Klassen präsentieren einige Gedichte, Lucas Flow gibt zwei Lieder zum Besten, ein anderer Student ist ein talentierter Flöten- und Panflöten-Spieler, der unglaublich gut musiziert. Immer wieder desinfizieren wir uns die Hände mit Desinfektionsmittel, reiner Spiritus, den dort fast jeder verwendet. Im Hinterkopf die Angst, sich doch noch zu infizieren. Gegen Mittag dann präsentiert sich die Gruppe in der Gastronomieschule mit einem Mittagessen für die Anwesenden, ca. 100 Personen. Es gibt Reisgerichte, das von mir so geliebte Majahadito, dann Kartoffelgerichte, zusätzlich ein spezielles Schweinefleisch, Lasagne und Hühnerfleisch. Dazu darf ein kühles Bier (Huari) nicht fehlen.
Gegen 15.00 Uhr besuchen wir dann noch die etwas danebengelegene, von uns gebaute guardería, wo geplant ist, Menschen mit Behinderung dort unterzubringen, da im dafür entwickelten bzw. gebauten Gebäude inzwischen zu wenig Platz ist. Zudem müssen Untersuchungsräume gebaut werden, wo Untersuchungen und Therapien für die Kinder und Jugendlichen mit Behinderung gemacht werden. Auch von auswärts ist geplant, dass der Zugang für diese Leute möglich ist.
Es ist schon immer wieder beeindruckend und erfreulich, wenn man sieht, was wir mit dem Verein „Brillos“ dort alles errichten haben können und ich kann mich davon überzeugen, dass alle Projekte sehr gut laufen und alles gut funktioniert.
03.12.2021
Ich besuche heute das dermatologische Krankenhaus in Jorochito, ca. 1,5 Autostunden von Santa Cruz entfernt. Es gibt nur sehr wenige dermatologische Einrichtungen im Land. Im kleinen Ort Jorochito auf dem Weg zum bekannten Touristenort Samaipata ist eine davon. Patient*innen kommen von weit her, nehmen für die Behandlung teils mehr als 20-stündige Busfahrten auf sich. Ich treffe den Direktor des Krankenhauses. Es ist grade sehr viel los in der Ambulanz und auch stationäre Patient*innen gibt es einige zu versorgen. Ich werde durch die in die Jahre gekommenen Räumlichkeiten geführt. Die Gänge der Ambulanz sind völlig überfüllt, Patient*innen sitzen seit Stunden wartend auf dem Boden. Auf den Stationen sieht man tropendermatologische Erkrankungen, die man bei uns nur aus dem Lehrbuch kennt. Die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sind begrenzt und auch das Geld zum Erhalt des Krankenhauses ist knapp. Es ist keine Selbstverständlichkeit, in einem Entwicklungsland wie Bolivien ein dermatologisches Krankenhaus vorzufinden. Deshalb freut es mich umso mehr, dass es hier eine Anlaufstelle für Hauterkrankte gibt. Die dankbaren Patient*innen bestätigen meinen Eindruck. Ich würde gerne länger bleiben und mitarbeiten. Doch wir müssen weiter, Sr. Rosa Maria legt Wert auf Pünktlichkeit – Die „hora boliviana“ (die selbstverständliches und konsequentes, mindestens 30-120 minütiges Zu-spät-kommen unter Bolivianer*innen beschreibt), gibt es bei ihr nicht. Deshalb gehe ich noch schnell Mittagessen in die Nähe des Río Piraí und fahre dann zurück ins Haus der Schwestern. Dort steht der nächste Programmpunkt an.
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Am Nachmittag werden mit Sr. Rosa-Maria noch einmal die Projekte durchbesprochen, die Zahlungsbestätigungen der Jahre 2020 und 2021 durchgegangen, zusätzlich auch die zukünftigen Projekte im Beisein des Architekten abgehandelt. Im Anschluss stehen wiederum Besuche auf dem Plan. Die Erlebnisse und Eindrücke sind überwältigend und es tut dann oft ganz gut, wenn am Abend etwas Zeit ist, wo man sich in Ruhe zurückziehen kann, um zu versuchen, alles irgendwie zu verdauen.
04.12.2021
Am Vormittag ist Pause angesagt, die ich dringend brauche.
Gegen 15.00 Uhr am Nachmittag werden wir abgeholt, geplant ist ein großes Treffen mit der Gruppe der beca Bernardo, etwa 80 Jugendliche, die ein kleines Stipendium monatlich erhalten, zudem treffen sie sich zwischendurch mit Sr. Rosa-Maria, wo sie ihr ihre Probleme und Sorgen berichten, zudem wird auch der Erfolg ihres Studiums kontrolliert. Wenn längere Zeit keine Zeugnisse vorgebracht werden können, scheiden sie aus der Gruppe aus.
Ein Höhepunkt dieses Treffens ist die Feierlichkeit von 9 Jugendlichen, die das Universitätsstudium abgeschlossen haben. Sie werden jeweils mit tosendem Applaus, Musik und Klatschen nach vorne geführt. Alle machen dann noch eine kleine Ansprache und bedanken sich für die langjährige Unterstützung und ich fühle mich dabei sehr gut und dankbar, wenn der Erfolg dieser Unterstützung solche Früchte bringt. Dies ermutigt sehr, in diesem Sinne weiterzumachen und auch hier ein Danke an alle, die „Brillos“ unterstützen.
Weiters werden wieder Musikdarbietungen gebracht, u.a. singt wieder Lucas Flow und begeistert die Anwesenden. Nach Übergabe von Geschenken und weiteren Ansprachen ist dann das Abendessen am Programm. Wiederum hat die Klasse der Gastronomieschule gekocht und präsentiert hochprofessionell das Abendessen, welches sehr gut schmeckt, sogar ein Glas Weißwein hat jemand mitgebracht. Anwesend sind auch drei ärztliche Kollegen, die vor einigen Jahren im Krankenhaus von Kufstein einige Zeit verbracht haben und dort jetzt auch Patenschaften für mittellose Kinder übernommen haben.
Es zieht dann kurz ein Gewitter auf, was die Hitze etwas erträglicher macht, und nicht zu spät werden wir dann wiederum heimgebracht.
05.12.2021
Geplant ist der Flug nach Sucre, um die dortigen Projekte zu besuchen. Der Flug ist am frühen Nachmittag geplant, wir sind pünktlich am Flughafen und warten darauf. Nach längerem hin und her wird dann der Flug gecancelt, angeblich wegen des Regens in Sucre, wo sie dort offensichtlich dann nicht landen können. Unverrichteter Dinge gehen wir nach einigen Stunden nach Hause, wo wir dann noch überlegen, ob wir es noch einmal versuchen sollten.
Zu Mittag werden wir von dem abogado (Anwalt) Daniel angerufen, ob wir zum Mittagessen kommen. Wir gehen kurz hin, begrüßen ihn mit seiner Frau und dem kleinen Sebastian. Peter geht mit ihnen Essen, ich ziehe mich zurück. Zwei Tage darauf ruft er uns an, dass er einen auf Covid19 positiven Test hat. Wir sind besorgt, letztendlich haben wir dann doch wegen der Dreifach-Impfung und der Einhaltung der Hygienemaßnahmen keine Infektion bekommen.
Über Sr. Rosa-Maria ergattern wir dann am späteren Nachmittag noch einmal einen Flug nach Sucre, müssen jedoch sofort aufbrechen, um ihn zu erreichen. Sr. Rosa-Maria checkt uns ein und wir kommen noch pünktlich zum Flughafen, es scheint alles normal zu verlaufen, wir sind bereits alle im Flieger. Da nichts weitergeht, haben wir bereits eine Vorahnung, dann die Durchsage: Wegen eines technischen Gebrechens müssen wir den Flieger verlassen. Wir warten dann im Flughafengebäude, nach ca. 1 Stunde werden wir wieder aufgerufen in das Flugzeug einzusteigen, offensichtlich hat man den technischen Defekt korrigiert. Wiederum sind wir alle im Flugzeug, dann kommt die Durchsage: Leider können wir nicht fliegen, da in Sucre wiederum Regen aufgetreten ist. Somit müssen wir aussteigen, unverrichteter Dinge fahren wir wieder in unsere Unterkunft. Es sollte offensichtlich nicht sein, und ich bin eigentlich nicht mehr gewillt, noch einen Versuch zu starten. Señorita Gaby in Sucre jedoch ist unglaublich betroffen und traurig, zusätzlich ruft Juan Pablo mehrfach an und hofft uns zu treffen.
Juan Pablo wurde vor 4 Jahren bei uns im Krankenhaus Kufstein wegen eines bösartigen Knochentumors am rechten Oberarm durch Herrn Prim. Dr. Breitfuß erfolgreich operiert. In Bolivien hätten sie vorgehabt, den Arm zu amputieren.
Aus diesem Grund versuchen wir es noch einmal und es gelingt letztendlich am Montag, 06.12.2021, einen Flug zu bekommen.
06.12.2021
Heute probieren wir’s noch einmal, alle guten Dinge sind schließlich drei – Drei Mal im Flieger am Rollfeld, dann wird er schon abheben… Kurzer Check online in der Früh: Der Flieger von 08:35 Uhr wurde auf 15:45 verschoben. Zum Glück haben wir den nicht gebucht. Unser Flieger soll um 16:15 Uhr fliegen. Als wir sehen, dass es um 13:45 auch noch freie Plätze gibt, buchen wir um und fahren erneut zum Flughafen. Dort angekommen, am Gate sitzend, stellen wir fest, dass auch unser Flieger verschoben wurde, vorerst jedoch nur um 45 Minuten. Obwohl wir es selbst kaum mehr glauben können, heben wir schlussendlich tatsächlich mit einer weiteren Stunde Verspätung ab und sind ca. 30 Minuten später am Flughafen Sucre. So einfach könnte es gehen, aber gestern hat es nicht sein sollen. Sobald wir ankommen, merken wir den Temperaturunterschied zu Santa Cruz. Nur mehr ca. 15 Grad, der Himmel sieht so aus, als ob es jederzeit wieder regnen kann. Wir nehmen ein Taxi in die Stadt – ca. 1 Stunde Fahrt durch die wunderschöne Landschaft des altiplano, mit einem wahren „chuquisaqueño“ hinter dem Steuer, der uns in seinem Auto, dessen Kilometerstandanzeige bei 700,000 den Geist aufgegeben hat, sicher in unsere Unterkunft bringt. Aufgrund des gestrigen „unproduktiven“ Tages gilt es jetzt keine Zeit zu verlieren. Wir treffen noch am Abend die Familie von Juan Pablo, der vor mehreren Jahren mit einem Osteochondrom in Kufstein operiert wurde. Es geht ihm gut, er hat nur leichte Schmerzen und ist überglücklich seinen Nenn-„papi“ (Dr. Bernardo), den er mit großen Augen bewundert, endlich wieder zu sehen. Er bringt die ganze Familie mit, die uns direkt zum Essen einlädt. Es soll „chancho“ (Schwein) geben, extra für uns. Dankend lehnen wir ab, da die Zeit schon fortgeschritten ist.
Bernhard besucht noch einen Studenten in seinem eigens eingerichteten Zimmer (Plastikstuhl, Plastiktisch, Kleiderschrank), in dem er zur Miete wohnt. Wir unterstützen ihn finanziell, wofür er sich sehr dankbar zeigt. Ohne diese Unterstützung wäre sein Studium nicht möglich. Er kommt anschließend mit zum Essen in unsere Unterkunft, traut sich aber nicht, vor uns zu essen – Deshalb gibt’s das milanesa als take-away.
07.12.2021
Nach einer kühlen Nacht (<10°C) werden wir am nächsten Tag in der Früh von Señorita Gaby abgeholt. Heute steht der Besuch des colegios in Yotala auf dem Programm. Wir sind schon aufgeregt, da die Schule in den letzten Jahren durch die Spenden von Brillos eine deutliche Aufwertung erfahren hat. Nach dem Erweiterungsbau (Fertigstellung 2017), Bau der Toilettenanlage (Fertigstellung 2018) und der Gastronomieschule (Fertigstellung 2019), hat die Schule viel Zulauf erhalten. Nun wurde eine erneute Erweiterung um 4 Klassenzimmer nötig, deren Finanzierung wir im Sommer 2021 zugesagt haben. Mittlerweile ist der Bau des Zubaus weit fortgeschritten und sollte spätestens Anfang 2022 abgeschlossen sein. Wir sind begeistert, wie gut sich das neue Gebäude in den Komplex einfügt und haben auch schon neue Projekte für die Zukunft identifiziert.
Auch ein Besuch bei den Jugendlichen der „beca“ (eine Art „Stipendium“) darf nicht fehlen. Es sind mittlerweile 23, die diese beca erhalten. Da aufgrund der Pandemie auch in Bolivien viele Schulen auf virtuellen Unterricht setzen mussten, sich zahlreich Familien aber weder Laptop, Tablet noch Handy bzw. das für online Konferenzen nötige mobile Datenvolumen leisten können, haben wir uns dazu entschlossen, den Jugendlichen der beca ein Tablet für den Schulunterricht zu finanzieren. Der Bedarf war groß, deren Dankbarkeit entsprechend überschwänglich. Mehrmals wird uns versichert, dass ein Schulunterricht für diese Jugendlichen in Zeiten der Pandemie ohne die Unterstützung von Brillos nicht möglich gewesen wäre. Beim anschließenden Empfang inkl. Vorführung traditioneller bolivianischer Tänze einiger Schüler*innen, müssen Bernhard und ich auch mehrmals das Tanzbein vor allen schwingen, was auf fast 3000 Metern Höhe ganz schön anstrengend sein kann. Danach gibt’s was Gutes zu essen, das die profesoras der neuen Gastronomieschule anlässlich unseres Besuchs vorbereitet haben. Doch damit nicht genug, in den letzten verbleibenden zwei Stunden erfüllt Dr. Bernardo den Schüler*innen den Wunsch, gemeinsam Pizza zu backen. Von anfänglichen kleinen Schwierigkeiten (Batterien der Küchenwaage leer, Ofen geht nicht an, kein Olivenöl) lässt sich Dr. Bernardo nicht beirren und zaubert einen Teig, von dem die Pizzaioli in Napoli nur träumen können… Jetzt müssen wir aber wirklich los, weil unser Flieger bald abhebt – „Hoffentlich“, denken wir insgeheim, wenn wir gen Himmel blicken und die nächsten dunklen Wolken erspähen… Auf dem Weg besuchen wir noch zwei Familien, die uns postwendend zum Essen einladen. Erneut müssen wir leider absagen.
Da wir jetzt wirklich keine Zeit mehr haben, alles unterzukriegen, entschließen wir uns, uns aufzuteilen: Dr. Bernardo fliegt zurück nach Santa Cruz, weil dort morgen Vormittag eine OP auf dem Programm steht und noch ein paar andere Termine geplant sind. Ich fliege nach Cochabamba und besuche die Projekte dort. Mit den Flügen muss dieses Mal alles passen – Übermorgen zu Mittag geht schon unser Rückflug nach München. Dieses Mal ist uns das Wetter aber glücklicherweise gutgesinnt und unsere Flüge gehen problemlos über die Bühne – Bernhard landet am Abend in Santa Cruz, ich in Cochabamba.
Jetzt wird der Tag schon lange und ich bin gesättigt mit Eindrücken. Aber die Schwestern erwarten mich zum Abendessen. Ich freue mich, sie zu sehen und die großen „bienvenidos“-Luftballons und die bolivianische Gastfreundschaft lassen mich die Müdigkeit vergessen. Ein paar Jugendliche der beca in Cochabamba kommen und tragen einzeln vor, wie dankbar sie für unsere Unterstützung sind. Eine davon wird dieses Jahr mit dem colegio fertig und will im kommenden Jahr studieren, ein anderer kann wieder zur Schule gehen und muss nicht arbeiten, um die Familie am Leben zu halten. Wir beschließen, noch zum Prado zu gehen, einer bekannten Straße, auf der unzählige (nicht immer meinen Geschmack treffende) beleuchtete Weihnachtsbäume, Skulpturen und Lichterketten in allen möglichen Farben, Formen und Motiven aufgebaut sind. Dazu gibt’s überlaute Musik, Straßenkünstler und Essensstände. Wenn der Großteil der Menschen keine Maske tragen würde, hätte ich vergessen, dass wir uns in einer Pandemie befinden. Wir sind im Freien, halten Abstand und passen auf. Nach einigen Fotos vor den kitschigen beleuchteten Schriftzügen mit „Navidad 2021“, „X-Mas“ usw., auf die die Schwestern und Jugendlichen, mit denen ich unterwegs bin, bestehen, ist es mir wirklich genug für heute und ich gehe um kurz vor Mitternacht in mein Hotel. Es ist zwar etwas laut, da es mitten in der Stadt liegt, aber das Zimmer ist sehr sauber und schön.
08.12.2021
Am nächsten Morgen werde ich wieder im Haus der Schwestern zum Frühstück erwartet. Danach sprechen wir über die Unterstützung der Jugendlichen. Die meisten sind fleißig, gehen zur Schule, sind auf die Hilfe von Brillos angewiesen. Manche andere halten sich nicht immer an die Regeln, müssen in der Pandemie arbeiten gehen, damit ihre Familien überleben oder tun es einfach, weil sie nicht in die Schule gehen wollen. Es ist schwer, die Entscheidung zu treffen, jemanden nicht mehr zu unterstützen, jedoch ist es unsere Verpflichtung und eine Selbstverständlichkeit, Spendengelder nachhaltig und sinnvoll einzusetzen. Deshalb müssen wir bei einigen wenigen die Unterstützung kürzen bzw. beenden. Andere Bedürftige werden ab dem kommenden Jahr in die beca aufgenommen. So zum Beispiel David* mit Autismus oder Julia*, deren Mutter alleine für 7 Kinder sorgen muss und sich das Busticket für Ihre Tochter in die Schule nicht leisten kann.
Ich muss um 10:30 Uhr schon weiter, weil ich das Projekt in Champa rancho besuche. Vorher will ich aber noch James* in seinem neuen Büro besuchen. Er war in der Gruppe der ersten „Brillos“, der schuhputzenden Jugendlichen am Hauptplatz in Cochabamba, denen Dr. Bernardo und Sr. Gundelinde vor 20 Jahren warmes Essen geschenkt und so das Projekt begonnen hat. Er ist mittlerweile seit vier Jahren fertig mit dem Studium und arbeitet als selbstständiger Architekt in seinem eigenen Büro. Leider ist er grade am Bau und so verpassen wir uns. Er fährt zwar später extra zum Flughafen, damit wir uns kurz sehen, aber ich stehe da schon am Gate. Jetzt aber zurück zum Vormittag: Mittlerweile ist es 10:35 und Mirtha -Leiterin und Ansprechpartnerin der fundación „Vida y Esperanza“, die u.a. von Brillos unterstützt wird- wartet schon ungeduldig vor dem Haus der Schwestern auf mich. Schließlich haben die Kinder in Champa rancho etwas für uns vorbereitet. Die Familie, die vor dem Haus auf mich gewartet hat und mit mir sprechen will, da sie wohl über andere erfahren hat, dass ich in Cochabamba bin, muss ich leider enttäuschen und setze mich in ein Taxi mit Mirtha. Wir freuen uns, dass wir uns wieder sehen und haben uns viel zu erzählen. Sie erzählt von den letzten mehr als 1,5 Jahren der Pandemie in den Außenbezirken Cochabambas. Ca. 80% der Schüler*innen wollten bzw. konnten den Schulunterricht nicht fortsetzen – viele, weil sie erwerbstätige Familienmitglieder aufgrund einer Covid-19 Infektion verloren haben (Das Gesundheits- und Sozialsystem Boliviens waren derart überfordert, dass Menschen auf der Straße gestorben sind und erst nach mehreren Tagen abtransportiert wurden) und nun selbst Arbeit suchen mussten. Andere, weil Familienmitglieder deren Arbeit verloren haben und deshalb jede erwerbstätige Hand zählt und nötig war, um die Familie am Leben zu halten. Andere, weil sich die Familien schlicht den öffentlichen Transport (der zwischenzeitlich ohnehin für mehrere Wochen stillgestanden ist und u.a. deshalb ein Schulbesuch nicht möglich war) für ihre Kinder in die Schule nicht mehr leisten konnten. Ebenfalls wurde in vielen Schulen der Unterricht virtuell abgehalten – Leider konnte sich ein Großteil der Familien, sofern überhaupt ein mobiles Endgerät für alle Kinder im Haushalt vorhanden war, die für online Konferenzen nötigen mobile Daten nicht leisten. Zudem ist vielerorts der Empfang zu schlecht, um an Videoschaltungen teilzunehmen. All das, neben der deutlichen Zunahme an häuslicher Gewalt und Verzweiflung vieler Eltern, haben dazu geführt, dass das Schul- und Sozialsystem mancherorts in Bolivien kurz vor dem Zusammenbruch stand. Die Wunden der Pandemie in Bolivien, zumal wir nicht wissen, wie viele Wellen aufgrund neuer Mutationen und einer zu geringen Durchimpfungsrate, noch auf uns zurollen, werden lange brauchen, um abzuheilen.
Um die Wucht der Pandemie auf Familien und Schüler*innen ein wenig abzufangen, hat es erfreulicherweise neben Essensausgaben für Bedürftige auch viele andere Initiativen geben. So wurden z.B. Vereinbarungen mit Schulen getroffen, damit die digitalen Hausübungen direkt an Mirtha in den Räumlichkeiten der fundación geschickt werden. Sie druckt die Aufgaben aus, die wiederrum von den Kindern abgeholt und zuhause (oft ohne Tisch am Boden) erledigt werden. Im Anschluss kommen die Kinder mit den erledigten Aufgaben zu Mirtha zurück, die die Blätter mit dem Handy abfotografiert und -nachdem sie einen Ort gefunden hat, an dem der Empfang gut genug ist- diese an die zuständigen Lehrer*innen schickt. Diese wiederrum korrigieren die Aufgaben, schicken diese an Mirtha zurück, die den Ausdruck erledigt und die Korrekturen an die Schüler*innen weiterleitet. Jede*r kann sich vorstellen, dass viel Eigenmotivation und Disziplin nötig sind, dieses und ähnliche pandemie-bedingte Prozederen auf Dauer umzusetzen. Dennoch konnten dadurch, auch durch die Hilfe von Brillos, einige Schüler*innen weiterhin am Unterricht teilnehmen.
Mittlerweile sieht die Situation besser aus. Es kommen wieder mehrere Schüler*innen in die Schulen und die Wirtschaft erholt sich langsam. Leider hört man auch dort allerorts von Omikron und den möglichen Gefahren einer vierten Welle…
Nun aber kommen wir nach einer halben Stunde Taxifahrt im besagten Champa rancho an. Dort warten bereits zahlreiche Kinder, die eine kleine Vorführung für Brillos vorbereitet haben. Danach gibt’s einen refresco und es wird ein wenig gespielt. Die „fundación“ ermöglicht eine Vormittags- oder Nachmittagsbetreuung inkl. Nachhilfe für Schulkinder bedürftiger Familien und wird von mehreren Schulpsychologinnen/Pädagoginnen betreut. Die Unterstützung von Brillos umfasst neben warmem Essen für die Kinder auch den Kauf von Schulmaterialien und -büchern. Ich freue mich, alle hier so glücklich zu sehen und merke, dass insbesondere in Zeiten der Pandemie das gemeinsame Spielen und Zeitverbringen der Kinder viel Unsicherheit nimmt und Leid vergessen lässt. Nach einer kurzen Aufregung, weil eines der Kinder von einem Motorrad auf der Straße gestreift wird (zum Glück nichts passiert), machen wir uns auf den Weg zu Familienbesuchen. Viel Zeit bleibt nicht bis zu meinem Rückflug nach Santa Cruz, aber wir schaffen es noch. Wenige Minuten zu Fuß entfernt wohnt die Familie von Ana*. Sie ist 19, grade mit der Schule fertig. Ihr Bruder Marcus*, 16 Jahre alt, geht noch zur Schule. Der Vater ist Alkoholiker und abgehauen. Die Mutter ist nicht zuhause, muss sieben Tage pro Woche arbeiten. Die Hälfte des Lohns verschlingt die Miete, dazu kommen Strom und Wasser (von dem es ohnehin in der Gegend kaum genügend gibt). Der Rest wird für Lebensmittel, Medikamente, Schulmaterialen ausgegeben. Für Anderes bleibt nichts übrig. Die Mutter weiß, wenn sie ausfällt, kann sie ihre Familie nicht mehr ernähren.
Wir müssen weiter zur Familie von Doña Maria*. Sie kommt aus Potosí, ehemals eine der größten und reichsten Städte der Erde, heute eine in Armut, Arsendämpfen und Kinderarbeit erstickende Großstadt. Sie lebt in Champa rancho einem einfachen Häuschen mit 2 Zimmern – Zu sechst gemeinsam mit ihrem Ehemann, der für einen Hungerlohn in der Ziegelfabrik nebenan arbeitet, und ihren vier Kindern im Alter von sechs bis 17 Jahren. Es gibt nur die beiden Räume, in denen geschlafen, gegessen und gelebt wird. Hausübung wird am kleinen Plastik-Esstisch, auf dem nicht alle zugleich Platz haben, gemacht. Wäsche wird vor der Türe gewaschen und aufgehängt. Die Mutter kann nicht rechnen, nicht schreiben und wäscht gelegentlich für einen kleinen Zuverdienst die Wäsche von Nachbarn. Die älteste Tochter hat letztes Jahr die Schule abgebrochen, aus oben genannten Gründen. Wir werden gefragt, ob wir einen Tisch für das zweite Zimmer finanzieren können, damit die Kinder darauf essen und ihre Hausaufgaben machen können. Jetzt müssen wir los zum Flughafen, wir sind schon zu spät.
Kurze Zeit später sitze ich am Gate und warte auf meinen Rückflug nach Santa Cruz. Die letzten 48 Stunden waren sehr intensiv, es wird noch eine Weile dauern, das Erlebte verarbeitet zu haben und meine Gedanken wieder zu ordnen.
Zurück in Santa Cruz gibt’s noch ein Abschluss-Abendessen mit Dr. Bernardo, bevor es morgen Früh wieder gen Heimat geht… Wir freuen uns beide darauf, die Fotos von zuhause und der verschneiten Landschaft lassen unsere Herzen höherschlagen.
09.12.2021
Heute ist‘s soweit. Nach einem kurzen, aber intensiven Aufenthalt ist’s Zeit, wieder zurückzufliegen. Die Rückreise ist problemlos, wir kommen pünktlich in München an und lassen die letzten 11 Tage bei Weißwurst und Brezn kurz Revue passieren. Viel gibt’s noch zu besprechen und einiges zu entscheiden – Das machen wir aber bei der nächsten Versammlung, ohne Jetlag und mit ein bisschen Abstand zum Erlebten.
Der Aufenthalt hat mir einmal mehr gezeigt, in welch privilegierter Situation wir uns in Mitteleuropa befinden. Trotz der widrigen Umstände der Pandemie, in der viele Menschen gestorben sind, ihren Job verloren haben und verzweifelt sind, können wir uns glücklich schätzen, in einem sozialen Wohlfahrtsstaat inmitten Mitteleuropas geboren worden zu sein und dessen Vorzüge genießen zu dürfen. Im Namen aller Bolivianer*innen, denen durch Ihre Spenden geholfen werden kann, bedanke ich mich von ganzem Herzen bei Ihnen und bin überzeugt, dass unsere Welt durch Ihre Hilfe ein kleines Stück gerechter und lebenswerter wird. Wir und alle, die an den Projekten beteiligt sind, wünschen Ihnen „Feliz Navidad“, einen guten Rutsch und freuen uns, wenn Sie „Brillos“ auch im kommenden Jahr unterstützen.
Bernhard Spechtenhauser und Peter Seiringer